Verbraucherschutz: „Hygienepranger“ in Nordrhein-Westfalen gestoppt

Der 13. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat in drei Beschlüssen vom 24. April 2013 Lebensmittelüberwachungsbehörden untersagt, die bei Betriebskontrollen festgestellten lebensmittel- und hygienerechtlichen Mängel im Internet auf der dafür vorgesehenen Plattform (www.lebensmitteltransparenz-nrw.de) zu veröffentlichen.

LebensmittelkontrollenDie Städteregion Aachen hatte im Oktober 2012 in einer Bäckerei zahlreiche Hygienemängel festgestellt; im Kreis Mettmann ergaben sich im Dezember 2012 Verstöße gegen Hygienevorschriften in einer Gaststätte; ebenfalls im Oktober 2012 ermittelte der Märkische Kreis, dass in einem lebensmittelverarbeitenden Betrieb der zulässige Grenzwert für einen Lebensmittelzusatzstoff überschritten wurde.

Allen drei Betrieben wurde daraufhin mitgeteilt, dass die Öffentlichkeit nach § 40 Abs. 1a des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs – LFGB – (unten abgedruckt) unter namentlicher Nennung des Unternehmens und Beschreibung des Verstoßes über die – inzwischen größtenteils behobenen – Mängel in der o. g. Internetplattform unterrichtet werden solle.

Um dies zu verhindern, beantragten die drei Unternehmen beim Verwaltungsgericht Aachen, Verwaltungsgericht Düsseldorf und Verwaltungsgericht Arnsberg eine einstweilige Anordnung. Alle drei Verwaltungsgerichte gaben diesen Anträgen mit unterschiedlicher Begründung statt und untersagten den Behörden die beabsichtigte Veröffentlichung.

Die gegen diese Entscheidungen erhobenen Beschwerden der Behörden hat das Oberverwaltungsgericht mit den eingangs genannten Beschlüssen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die beabsichtigte Veröffentlichung sei rechtswidrig. Sie verletze das Recht der Unternehmen auf informationelle Selbstbestimmung und freie Berufsausübung. Es fehle an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, weil § 40 Abs. 1a LFGB verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Die Vorschrift grenze die vorgesehene Information der Öffentlichkeit zeitlich nicht ein. Die Information der Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmers stelle angesichts ihrer weitreichenden Verbreitung, die durch die automatische Abrufbarkeit über das Internet erreicht werde, und ihrer potentiell gewichtigen wirtschaftlichen Auswirkungen eine besonders weitgehende Form eines Eingriffs in die Rechte der betroffenen Unternehmen dar. Deshalb müsse der Gesetzgeber die zeitliche Wirkung dieser Veröffentlichung durch Aufnahme einer Löschungsfrist einschränken. Daran fehle es. Die Bestimmung einer solchen Dauer dürfe der Gesetzgeber schon wegen des Vorbehalts des Gesetzes und der Vorhersehbarkeit der Rechtslage für den Bürger nicht der Entscheidung der Verwaltung, z. B. durch Verwaltungsvorschriften, überlassen (in Nordrhein-Westfalen sehen diese eine Dauer von einem Jahr ab Beginn der Veröffentlichung vor).

Abgesehen von dieser Lücke im Gesetz sei eine Veröffentlichung auf Grund von § 40 Abs. 1a LFGB angesichts der damit verfolgten Ziele wie Verbraucherinformation, Markttransparenz und abschreckende Wirkung grundsätzlich nicht zu beanstanden.

Die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts sind unanfechtbar.
Aktenzeichen: 13 B 192/12, 13 B 215/13, 13 B 238/13.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen

Reaktion aus Nordrhein-Westfalen
Verbraucherschutzminister Remmel:
Bundesministerin Aigner muss für verfassungskonformes Bundesgesetz sorgen

Der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel fordert die Bundesregierung nach der jüngsten Eil-Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes des Landes NRW (OVG) zum Bußgeld-Portal www.lebensmitteltransparenz.nrw.de zu einer zügigen Nachbesserung des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) auf. „Das Oberverwaltungsgericht folgt unserer Kritik an der handwerklich schlechten Arbeit, die Ministerin Ilse Aigner mit dem entsprechenden Bundesgesetz vorgelegt hat. Schon im Februar haben wir die Bundesministerin deshalb vor weiteren Niederlagen vor den deutschen Gerichten gewarnt und etwa auf das Fehlen von gesetzlich festgeschriebenen Löschungsfristen hingewiesen. Doch Ministerin Aigner hat unbeirrt an ihrer Haltung festgehalten – zum Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Wir werden auf der Verbraucherschutzministerkonferenz Mitte Mai mit den anderen Bundesländern auf eine schnelle Nachbesserung drängen“, sagte Remmel. „Denn das Oberverwaltungsgericht hat auch festgestellt, dass unser Weg, mehr Transparenz bei den Lebensmittelkontrollen zu schaffen, unstrittig ist. Deshalb wollen wir grundsätzlich an dem Bußgeld-Portal festhalten“, sagte Remmel. Bis zur Neufassung des entsprechenden Bundesgesetzes durch Ministerin Ilse Aigner wird NRW aber das Bußgeld-Portal vom Netz nehmen. NRW folgt damit anderen Bundesländern, in denen Gerichte ähnlich entschieden haben.

Der 13. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen hat am 24. April in drei Beschlüssen den zuständigen Behörden untersagt, die bei Betriebskontrollen festgestellten lebensmittel- und hygienerechtlichen Mängel im Internet auf der dafür vorgesehenen Plattform zu veröffentlichen. Grund sind verfassungsrechtliche Bedenken gegen das entsprechende Bundesgesetz (§ 40 Abs. 1a Lebens- und Futtermittelgesetzbuch). Es fehle an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, weil das entsprechende Gesetz verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge, stellten die Richter in einem Eilverfahren fest.

Der Gesetzgeber müsse die zeitliche Wirkung dieser Veröffentlichung durch Aufnahme einer Löschungsfrist einschränken. Abgesehen von dieser Lücke im Gesetz aber sei eine Veröffentlichung angesichts der damit verfolgten Ziele wie Verbraucherinformation, Markttransparenz und abschreckende Wirkung grundsätzlich nicht zu beanstanden, betonte das Gericht in Münster.

Am 1. September 2012 hatten die nordrhein-westfälische Landesregierung und die Kommunen das Verbraucherportal www.lebensmitteltransparenz.nrw.de auf der Grundlage eines neuen Bundesgesetzes gestartet, durch das Verbraucherinnen und Verbraucher über Ergebnisse der landesweiten Lebensmittelkontrollen informiert wurden. Dieses neue Bundesgesetz verpflichtete die Kommunen und die Länder zur Veröffentlichung solcher Verstöße.

Auf dem Internet-Portal werden seit September Datensätze veröffentlicht, wenn Grenzwerte von unerwünschten Stoffen bei Lebensmitteln und Futtermitteln überschritten oder gravierende Verstöße gegen Kennzeichnungs- und Hygienevorschriften festgestellt wurden. Voraussetzung für die Veröffentlichung ist, dass die Kennzeichnungs- und Hygieneverstöße mit einem Bußgeld von mindestens 350 Euro geahndet werden.

Verbraucherinnen und Verbraucher erfahren auf dem Portal, um welche Lebensmittel es sich handelt und wer sie in Verkehr gebracht hat. Und sie erfahren, in welchem Betrieb gravierende Hygienemängel gefunden oder falsche Kennzeichnungen festgestellt wurden. Dioxinüberschreitungen in Eiern, Quecksilberbefunde in Fischen, unhygienische Zustände oder Schädlinge in der Nähe von Waren: „Mit dem Portal haben wir Neuland betreten und es ist der richtige Schritt, den Druck auf die schwarzen Schafe zu erhöhen“, betonte Remmel nach der Entscheidung des Gerichts.

Allerdings sieht Remmel auch erheblichen Nachbesserungsbedarf bei den rechtlichen Grundlagen auf Bundesebene: „Wie so oft bei Ministerin Aigner folgt der Ankündigung meist eine unzureichende Umsetzung. Diese handwerklichen Fehler sind nun auch durch das Oberverwaltungsgericht des Landes NRW festgestellt worden“, kritisierte Remmel. „Wir haben bei den Beratungen zum Gesetz damals auf die offensichtlichen Lücken im Gesetz hingewiesen. Doch die Bundesregierung hat diese Kritik nicht aufgenommen“, sagte Remmel. Das räche sich jetzt. Remmel: „Ich fordere Ministerin Aigner daher zu einer zügigen Gesetzesnovelle noch vor der Sommerpause auf.“ Bereits bei der nächsten Verbraucherschutzministerkonferenz Mitte Mai in Bad Nauheim werde NRW erneut auf diese Nachbesserungen drängen.

Quelle: Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen

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