Essstörungen nehmen zu – wie Eltern vorbeugen können

Aktuelle Studien zeigen, dass Essstörungen wie Bulimie und Magersucht immer häufiger werden.

(dgk) So meldete beispielsweise das Gesundheitswissenschaftliche Institut Nordost (GeWINO) der AOK Nordost Anfang dieses Jahres einen deutlichen Anstieg der Diagnosen für Essstörungen. Der Erhebung nach wurde im Jahr 2010 im bei rund 3.500 Versicherten eine Essstörung wie Bulimie, Anorexie oder Binge Eating (Esssucht) neu diagnostiziert. Im Jahr 2016 waren es bereits mehr als 6.100 Versicherte. Das entspricht einer Zunahme von 71 Prozent.

Grundlage der Analysen waren die anonymisierten Abrechnungsdaten von rund 750.000 Versicherten der AOK Nordost im Alter von 6 bis 54 Jahren. „Die Dunkelziffer dürfte jedoch um einiges höher liegen, da wir lediglich Personen auswerten können, die vom Arzt eine Diagnose gestellt bekommen haben“, sagte der GeWINO-Versorgungsforscher Jan Breitkreuz.

Die Bereitschaft, sich in Therapie zu begeben, ist eine große Hürde für Betroffene einer Essstörung, wie die Analysen zeigen. Der Beginn einer Behandlung bedeutet für sie, sich das eigene problematische Verhalten selbst einzugestehen, es vor anderen offenzulegen und sich mit den dahinterliegenden Gründen auseinanderzusetzen. Davor schrecken viele zurück: Weniger als 10 Prozent der Versicherten der AOK Nordost mit der Diagnose einer Essstörung begeben sich innerhalb von 3 Jahren ab der Erstdiagnose in Behandlung. Die Wahrscheinlichkeit, eine Behandlung zu beginnen, beträgt im ersten Jahr noch 5 Prozent, im zweiten 3 Prozent, im dritten nur noch 1 Prozent. Angesichts der teilweise dramatischen Langzeitfolgen einer Essstörung ist die niedrige Behandlungsquote besorgniserregend. Um so wichtiger sind vorbeugende Maßnahmen.

Das sind die drei häufigsten Formen einer Essstörung

Magersucht (Anorexia nervosa):
etwa 250.000 Fälle bundesweit (95 Prozent davon weiblich), die Sterberate liegt bei 10 bis 15 Prozent.

Bulimie (Ess-Brechsucht):
etwa 750.000 Fälle (davon 90 Prozent weiblich), die Sterberate liegt bei knapp einem Prozent.

Binge Eating Disorder (Essattacken ohne anschließendes Erbrechen):
etwa 1,5 Millionen Fälle (50 Prozent weiblich, 50 Prozent männlich), gesundheitliche Gefahren erwachsen vor allem aus dem entstehenden Übergewicht.

In allen Fällen muss von einer höheren Dunkelziffer ausgegangen werden.

(Quelle: AOK Nordwest)

Grundsätzlich können Magersucht und Bulimie in jedem Lebensalter auftreten. Teenager in der Pubertät sind aber besonders gefährdet, da sie sich in einer Lebensphase mit Umbrüchen, Unsicherheit und schwankendem Selbstwertgefühl befinden. Gerade bei Mädchen lassen in der Pubertät Zufriedenheit mit dem Aussehen und positive Gefühle dem Körper gegenüber nach, was sicherlich unter anderem mit gängigen Rollenklischees zusammenhängt.

Ein paar Bemerkungen wie „Oh Mann, du solltest echt mal abnehmen!“ reichen manchmal aus, um den Anstoß für die Krankheit zu geben. Die Essstörungen können schwere Organschäden nach sich ziehen, schlimmstenfalls enden sie tödlich.

Was Eltern tun können, um Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen vorzubeugen

Einen sicheren Schutz vor Essstörungen gibt es nicht. Neben der Erziehung spielt eine Vielzahl anderer Faktoren – zum Beispiel die Persönlichkeit des Kindes oder das soziale Umfeld – eine Rolle. Dennoch können Eltern einiges tun, um einem gestörten Essverhalten vorzubeugen. Die gute Nachricht dabei: Die Strategien wirken auch einer Adipositas entgegen.

Selbstwertgefühl stärken
Alles, was das Selbstbewusstsein und die Selbstannahme fördert, wirkt letztlich präventiv. Eltern sollten ihren Kindern vorleben, dass Unzulänglichkeiten und Fehler zum Leben dazugehören und die Welt deswegen nicht untergeht.

Gesundes Körperbewusstsein fördern
Eltern können die Selbstwahrnehmung und ein positives Körpergefühl fördern, z. B. durch Freude an Bewegung, Entspannung und ein respektvoll-zärtliches Miteinander. Kritische Bemerkungen über die Figur oder eine Fixierung auf das Essverhalten sollten unterbleiben.

Gutes Ernährungsverhalten vorleben
Während gemeinsamer Mahlzeiten mit gutem Beispiel vorangehen: Eine von den Erwachsenen vorgelebte gesunde, genussvolle Ernährung legt den Grundstein für ein gesundes Essverhalten. Machtspiele und Zwang beim Essen sollte es nicht geben, umgekehrt sollten Essen oder Süßigkeiten nicht als Belohnung, Trost oder als Ersatz für Liebe eingesetzt werden.

Übergewicht vorbeugen
Ein normales Körpergewicht in der Kindheit ist ein Baustein zur Vorbeugung von späteren Essstörungen. Schon früh sollten Eltern daher auf eine gesunde Ernährung ihres Kindes und regelmäßige Bewegung achten.

Kein Smalltalk über das Gewicht
Eltern sollten sich den Smalltalk über das eigene Gewicht und das der anderen Familienmitglieder verkneifen. Studien zeigen, dass es schon kleinere Mädchen verunsichert, wenn ihre Mütter mit dem eigenen körperlichen Erscheinungsbild unzufrieden sind.

Keine Diät für Heranwachsende
Eltern sollten Heranwachsende nicht ermutigen, eine Diät zu beginnen. Denn schon länger ist bekannt, dass Teenager, die ein paar Kilo zu viel auf den Rippen haben, durch radikale Diät leicht in eine Essstörung rutschen können. Heranwachsende, für deren Gesundheit es gut wäre, ein paar Kilo abzunehmen, sollten das langsam tun und von Kinder- und Jugendärzten dabei begleitet werden.

Schlankheitsideal und Rollenzuweisungen hinterfragen
Eltern sollten ihre Kinder dazu anregen, männliche und weibliche Rollenzuweisungen und Schönheitsideale zu hinterfragen und ein kritisches Medienbewusstsein zu entwickeln.

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Kann man mit Hilfe der Methode der Anonymen Alkoholiker auch andere Süchte überwinden? Nina Wolf hat es probiert und geschafft. Über Umwege kam sie zu dem 12-SchritteProgramm der Anonymen Alkoholiker, mit dem sie es ihr schließlich gelang, ihre Bulimie zu besiegen. Die erfolgreiche Immobilienmanagerin führte mehr als 25 Jahre ein Doppelleben, bis sie eines Tages nach einer Fressattacke auf einer öffentlichen Toilette erwischt wird. 

Mit ihrem im Februar 2018 erschienen Buch „Zurück ins Leben. In 12 Schritten aus der Bulimie“ möchte sie Betroffenen und ihren Angehörigen Mut machen und ihnen neue Kraft verleihen. Ihre Geschichte zeigt, dass es sich lohnt, gegen die Bulimie anzukämpfen, dass Kraft  und Eigendisziplin nötig sind, die Krankheit aber überwindbar ist

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Quellen:
1. Gesundheitswissenschaftliches Institut Nordost (GeWINO) der AOK Nordost (Januar 2018): Essstörungen – Regionale Entwicklung im Nordosten; abrufbar unter www.gewino.de
2. Ärzteblatt online vom 6. Februar 2018: Diagnose „Essstörung“ hat deutlich zugenommen
3. Ärzteblatt online vom 26. April 2018: Essstörungen auf dem Vormarsch
4. vitanet.de: Was Sie tun können, um Essstörungen bei Ihrem Kind vorzubeugen
5. Der Tagesspiegel online vom 22.08.2016: Magersucht und Übergewicht gemeinsam vorbeugen
6. Annette Schneider (2012): Das Körperbewusstsein bei Kindern und Jugendlichen; Dissertation/Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
7. www.vitanet.de/krankheiten-symptome/essstoerungen/vorbeugen

Quelle: DEUTSCHES GRÜNES KREUZ e.V.
Internet: www.dgk.de

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