Babyblues: Depressionen nach der Geburt – schnelle Hilfe notwendig

Mehr als die Hälfte aller Frauen gerät in den Tagen nach einer Geburt in Phasen von Depression, Leere und Erschöpfung. Daran ist sind zu einem Teil das Schwangerschaftshormon Östrogen schuld. Dieses Hormon wird während der Schwangerschaft nicht nur in den Eierstöcken produziert, sondern auch in der Plazenta, und erreicht in den Wochen vor der Geburt die 200fache Konzentration gegenüber den Zeiten ohne Schwangerschaft. Nach der Geburt hört die massive Hormonproduktion schlagartig auf; innerhalb weniger Stunden und Tage bricht die Östrogenmenge im Blut völlig zusammen. Viele Frauen erleben sich in den Tagen direkt nach der Geburt als besonders niedergeschlagen, erschöpft, schutz- und hoffnungslos. Wenn sich der Körper an das neue Hormongleichgewicht gewöhnt hat, hört der „Babyblues“ in vielen Fällen wieder von allein auf.

Nach der Geburt leiden viele Frauen am Baby-Blues, bei manchen entsteht daraus in den folgenden Wochen sogar eine Depression. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Monoaminoxidase A. Das Enzym ist für den Abbau von Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin zuständig. Bei Frauen mit depressiven Episoden nach der Geburt sind die Enzymwerte im Gehirn im Vergleich zu gesunden Frauen stark erhöht. Zu diesem Ergebnis kommt ein kanadisch-deutsches Forscherteam unter Beteiligung von Julia Sacher vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Die Ergebnisse können dabei helfen, Wochenbett-Depressionen vorzubeugen und mit neuen Medikamenten zu behandeln.  Die Geburt eines Kindes stellt für die Mutter alles auf den Kopf. Zu Freude und Glück  gesellen sich bald auch Müdigkeit und Erschöpfung. Die überwiegende Mehrheit der Frauen erlebt im Wochenbett für einige Tage ein vorübergehendes Stimmungstief. Dieser „Baby-Blues“ ist noch keine Erkrankung, lässt aber manchmal schon erste Anzeichen für eine sich anbahnende depressive Verstimmung erkennen: Für 13 Prozent aller Mütter führt die Achterbahnfahrt der Gefühle direkt in den Keller; sie entwickeln das Vollbild einer Wochenbett-Depression. Diese schadet nicht nur der Mutter, sondern auch dem Kind. Eine effektive Behandlung ist schwierig, da die genauen neurobiologischen Ursachen bisher unbekannt waren.  Die neue Studie zeigt, dass die Wochenbett-Depression mit stark erhöhten Monoaminoxidase-A-Werten im Gehirn einhergeht, besonders im präfrontalen Kortex und im anterioren cingulären Kortex. Bei Frauen mit postpartaler Depression lagen die Werte 21 Prozent über denen von Frauen, die nach der Geburt nicht von negativen Gefühlen geplagt wurden. Die Frauen, die keine volle Depression entwickelten, aber öfter und häufiger in Tränen ausbrachen, zeigten ebenfalls moderat erhöhte Werte.  „Man sollte also alles fördern, was die Monoaminoxidase-A-Werte senkt und alles vermeiden, was die Werte ansteigen lässt“, erklärt Sacher. Zu letzterem gehören starkes Rauchen, Alkoholkonsum und chronischer Stress, zum Beispiel, wenn die Mutter sich vom Partner und ihrer Familie alleingelassen und vernachlässigt fühlt. „Mein Ziel ist es, den Frauen und ihren Familien eines Tages ganz konkrete Hinweise für einen Lebensstil zu geben, mit denen sie einer postpartalen Depression vorbeugen können“, erklärt die Psychiaterin.  Auch eine neue Generation von altbekannten Medikamenten könnte in Zukunft bei der Behandlung von Wochenbett-Depressionen eine wichtige Rolle spielen. Bisher erhalten die depressiven Mütter hauptsächlich Medikamente, die die Konzentration von Serotonin im Gehirn erhöhen. Da die Monoaminoxidase-A jedoch nicht nur Serotonin, sondern auch andere Monoamine wie Dopamin und Noradrenalin abbaut, könnte die Erfolgsrate mit einer Behandlung, die direkt auf die Monoaminoxidase-A abzielt, in besonders schwerwiegenden Fällen vielversprechender sein: Diese Alternative bieten Wirkstoffe, die das Enzym an der Arbeit hindern. „Die ersten Monoaminoxidase-A-Hemmer hatten oft schwere Nebenwirkungen, zum Beispiel Bluthochdruckkrisen, die es erforderlich machten, eine strenge Diät zu halten“, erläutert Sacher, „doch die neuen selektiven Medikamente sind besser verträglich.“ In klinischen Studien sollte als nächster Schritt die Wirksamkeit dieser reversiblen Hemmstoffe der Monoaminoxidase-A bei der Behandlung von postpartalen Depressionen überprüft werden.  Da man das Enzym im Gehirn nur mit aufwändiger Technik messen kann, eignet es sich nicht für Routineuntersuchungen. Die Forscher fahnden deshalb außerdem nach einem Molekül, dessen Werte sich ähnlich verhalten, sich aber im Speichel oder im Blut nachweisen lässt.  Bereits vor vier Jahren konnten Julia Sacher und ihre Kollegen vom CAMH Krankenhaus in Toronto zeigen, dass in der ersten Woche nach der Geburt die Konzentration des Enzyms Monoaminoxidase-A im Gehirn aller Mütter um durchschnittlich 40 Prozent höher war als bei Frauen, die nicht gerade ein Kind zur Welt gebracht hatten. „Die Werte verhalten sich genau entgegengesetzt zum Östrogen-Spiegel. Wenn der nach der Geburt akut abfällt, steigt die Konzentration der Monoaminoxidase-A extrem an.  Diese drastische Änderung beeinflusst auch das als Glückshormon bekannte Serotonin“, sagt Sacher. Bei den meisten Frauen normalisieren sich die Werte schnell wieder. Bei anderen bleiben sie erhöht – und begünstigen damit das Entstehen einer Depression.  CS/HR  Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. Internet: www.mpg.de

Bei etwa jeder vierten Frau bleiben die Symptome aber länger bestehen und werden im Lauf der Zeit manchmal sogar noch stärker, wie die Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. med. Valenka Dorsch von der LVR-Klinik Köln in ihrem Vortrag „Prävention postpartaler psychischer Störungen“ am 4. März 2016 im Rahmen des FOKO 2016 erläuterte, des größten jährlichen frauenärztlichen Fortbildungs-kongresses in Deutschland. Denn das Zusammenleben mit dem Baby stellt die Eltern vor eine völlig neue Situation. Die Versorgung des Neugeborenen lässt sich vor allem am Anfang in keinerlei Stundenplan einfügen, kein Tag ist wie der andere, keine Planung ist mehr zuverlässig. Innerhalb weniger Tage kommen zu den Strapa-zen der Geburt anhaltend gestörte Nächte, die Anstrengung, mit dem Weinen und Schreien der Babys zurechtzukommen und die Aussicht, dass sich das auf Wochen und Monate nicht mehr ändern wird. Besonders Frauen, die bisher gewohnt waren, ihr Leben souverän und organisiert im Griff zu haben, kommen mit der neuen Situation oft überhaupt nicht klar, verausgaben sich völlig, um eine gute Mutter zu sein und kommen seelisch und körperlich schnell an ihre äußersten Grenzen.

Versteinert, leer, keine Zuneigung zum Baby

Vor allem dann, wenn bereits vorher unterschwellig eine Neigung zu depressiven Phasen bestand, können die Veränderungen bei Frauen, aber manchmal auch bei Männern in den ersten Wochen mit dem Baby eine depressive Erkrankung auslösen. Dabei muss nicht immer das typische Gefühl bodenloser Verzweiflung und Traurigkeit im Vordergrund stehen. Ebenso häufig sind zum Beispiel das Gefühl, wie versteinert, völlig ausgebrannt und leer zu sein und keinen Ausweg mehr zu wissen, dem Baby keine Zuneigung geben zu können oder sogar die zwanghafte Vorstellung, dem Baby etwas anzutun. Ein besonderes Risiko, in eine derartige Krankheit hineinzugeraten, haben Frauen, die unter der Geburt sehr stark gelitten haben und mit diesem Trauma nicht zurechtkommen, so Dorsch.

„Frauen, die spüren, dass sie in eine solche depressive Phase hineinrutschen, dass alles über ihnen zusammenzubrechen droht, sollten um Hilfe bitten“, erläutert die Psychotherapeutin. Da wäre als erstes die Möglichkeit, die Hebammen-Betreuung nach der Geburt zu verlängern. Außerdem gibt es unter dem Stichwort „Frühe Hilfen“ und „Babylotsen“ seit Kurzem spezielle Beratungsangebote für Mütter – und auch Väter –, die nach der Geburt eines Kindes in einer schwierigen Situation sind und Unterstützung brauchen. Die Geburtsklinik, aber auch die betreuenden Frauen- und Kinderärzte können den Kontakt zu diesen Netzwerken meist herstellen. Sich ans Jugendamt zu wenden und um Hilfe zu bitten, davor haben viele Frauen Angst, weil sie fürchten, dass ihnen dann ihre Kinder weggenommen werden könnten, wenn sie sagen, dass sie kurz vor dem Zusammenbruch stehen.

Möglichst bald ärztliche Hilfe

Deshalb ist es für die Frau, für das Baby und für die ganze Familie hilfreich, wenn die Mutter mit ihrer depressiven Erkrankung möglichst bald fachliche ärztliche Hilfe erhält. Manche Frauen können überhaupt keine Beziehung zu ihrem Baby aufbauen und fühlen sich dann besonders schuldig. „Hier ist eine rasche Hilfe wichtig“, erläutert die Ärztin der Schwangerensprechstunde der LVR-Klinik Köln. „Denn nicht die Frau ist schuld, sondern die Erkrankung, und die kann behandelt werden. Eine psychotherapeutische Behandlung ist hilfreich, in dieser Situation aber als alleinige Maßnahme manchmal zu langwierig. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit einigen modernen Antidepressiva, die auch während des Stillens angewendet werden können. Vielen Frauen kann dadurch sehr gut geholfen werden, sich so weit aus der Depression zu befreien, um mit ihrer Situation zurechtzukommen und einen guten und intensiven Kontakt zu dem Baby aufzubauen.“

Niedergelassene Frauenärztinnen und-ärzte haben bereits durch ihre Facharzt-ausbildung eine psychosomatische Qualifikation; deshalb kann es sinnvoll sein, die Situation zunächst mit der eigenen Frauenärztin und dem eigenen Frauenarzt zu besprechen. Bei diesem Gespräch können die Weichen für das weitere Vorgehen und für geeignete Maßnahmen aus dem weiten Feld der Angebote gestellt werden.

Hilfsangebote

www.schatten-und-licht.de
Selbsthilfe und Netzwerk für Frauen mit Depressionen nach der Geburt

www.fruehehilfen.de
Angebote im Rahmen des bundesweiten Projekts „Frühe Hilfen“. Die Angebote sind regional sehr unterschiedlich ausgebaut.

www.embryotox.de
Wissenschaftliche Datenbank und Beratungsangebot zu Arzneimitteln in Schwangerschaft und Stillzeit.

Quelle: Berufsverband der Frauenärzte e.V. 
Internet: http://www.bvf.de/

Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0

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