Bildschirmmedien – für Jungs ein größeres Risiko

Im Alltag von Kindern und Jugendlichen hat sich in den letzten Jahren eine regelrechte „Medienrevolution“ vollzogen. Die Heranwachsenden verbringen ihre freie Zeit immer mehr mit dem Spielen von Computerspielen, mit Chatten und Surfen im Internet, mit dem Konsum von Videos oder von Fernsehsendungen. Der Wandel der Freizeitaktivitäten birgt besonders für die Entwicklung von männlichen Jugendlichen neue Risiken mit sich, warnt die in München beheimatete „Stiftung Kindergesundheit“ in einer aktuellen Stellungnahme: Jungen entwickeln weitaus häufiger als Mädchen in ihrem Mediennutzungsverhalten extreme Gewohnheiten, die nachteilige Folgen für ihre körperliche und seelische Gesundheit haben und sogar zu einer regelrechten Suchtentwicklung führen können.

„Das Fernsehgerät hat im Kinderzimmer nichts zu suchen!“, forderte die Stiftung Kindergesundheit bereits vor fünf Jahren, wie es scheint, leider vergebens. Dabei ist dieser Appell heute aktueller denn je. Der Anteil der männlichen Jugendlichen, die einen eigenen Fernseher im Zimmer haben, hat sich von 25 auf 74 Prozent fast verdreifacht. Bei Mädchen wuchs der Anteil der eigenen Fernsehgeräte von 37 auf 64 Prozent. Parallel dazu hat sich der Anteil von Kindern, die täglich vier und mehr Stunden fernsehen, mindestens verdoppelt.

Der Münchner Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit: „In der Zwischenzeit zweifelt niemand mehr ernsthaft am unheilvollen Einfluss der Bildschirmmedien auf die Entstehung von Bewegungsmangel und Übergewicht, Verhaltensauffälligkeiten und Schulleistungen. Den immer wieder behaupteten positiven Aspekten des Medienkonsums stehen erwiesene Nachteile für die körperliche und seelische Gesundheit gegenüber“.

Das von der gesetzlichen Krankenkasse KKH-Allianz in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Hochschule Hannover jüngst veröffentlichte „Weißbuch Prävention 2010/2011“ („Gesund jung?!“, Springer Medizin 2011) nennt zum Medienkonsum aktuelle Zahlen, die alle Eltern nachdenklich machen sollten:

96 Prozent der elf- bis 17-jährigen sehen täglich fern oder schauen Video;

76 Prozent nutzen täglich den Computer oder das Internet;

Mobiltelefone werden von 62 Prozent und Spielkonsolen von 33,5 Prozent der Jugendlichen bedient;

37 Prozent der Jungen und 56 Prozent der Mädchen zwischen 11 und 13 Jahren hören täglich mindestens eine Stunde Musik, bei den 14- bis 17-Jährigen sind es bereits 63 Prozent (Jungen) bzw. 79 Prozent (Mädchen).       

        
Bücher bleiben ungelesen

Auch jüngere Kinder erliegen immer mehr der Faszination von Bildschirmmedien: Viertklässler schauen an einem Wochentag durchschnittlich 71 Minuten fern bzw. Videos und spielen 30 Minuten mit dem Computer. Für Bücher bleibt da verständlicherweise nur noch wenig Zeit: Gelesen wird nur noch etwa eine halbe Stunde täglich.

Kinder von Eltern mit geringerem Einkommen oder geringerem Bildungsniveau haben eher ein Fernsehgerät oder eine Spielkonsole in ihrem Zimmer, sehen mehr fern und spielen mehr Videospiele, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. Kinder und Jugendliche mit eigenen Mediengeräten konsumieren erheblich häufiger jugendgefährdende Spiele und Filme als Kinder ohne eigenen Fernseher und Spielkonsole.

Risiken für Leib und Seele

Behauptungen über die angeblich lehrreichen Auswirkungen von Bildschirmmedien auf die geistigen Leistungen werden von wissenschaftlichen Untersuchungen kaum gestützt, betont die Stiftung Kindergesundheit. Im Gegenteil: Eine überhöhte Mediennutzung ist dem Lernen und damit der geistigen Entwicklung abträglich:

  • Fernsehen im ersten bis dritten Lebensjahr erhöht das Risiko für Aufmerksamkeitsprobleme wie ADHS im Alter von sieben Jahren.
  • Wer lange vor einem Gerät sitzt, bewegt sich weniger und wird allein schon deshalb dicker.
  • Je länger Kinder und Jugendliche vor den Bildschirmen und Monitoren sitzen, desto schlechter werden ihre Schulleistungen. Hohe Medienzeiten haben bei allen Kindern schlechtere Schulleistungen zu Folge, besonders eindeutig jedoch bei männlichen Jugendlichen.
  • Jungen beschäftigen sich wesentlich häufiger als Mädchen mit jungend gefährdenden Programmen und Spielen, die für ihr Alter noch nicht freigegeben sind.
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Jungen süchtig nach „Äkschn“

Jungen sind der Gefahr einer Abhängigkeit mehr ausgesetzt, weil sie bereits im Grundschulalter mit mehr Mediengeräten ausgestattet sind. Sie nutzen die Medien auch länger und bevorzugen gewaltbetonte und aggressive Filme und Spiele.
 
Ein Grund dürfte am steigenden Testosteron-Spiegel während der Pubertät liegen: „Das Männerhormon führt zu einer erheblich höheren Bereitschaft zu risikofreudigem, aber auch aggressivem und antisozialem Verhalten, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. Der Anstieg des Testosteronspiegels in der Pubertät ist offenbar auch verantwortlich für die ausgeprägte Suche männlicher Jugendlicher nach Risiken und erregenden Erlebnissen, in der Fachsprache als „sensation seeking“bezeichnet“.

„Dabei sind heranwachsende Jungen seelisch von vornherein leichter verwundbar als Mädchen“, sagt Professor Koletzko. „Nach aktuellen Daten sind Jungen im Vergleich zu ihren weiblichen Altersgenossen viermal so häufig von Stottern, Legasthenie, Bettnässen und Autismus betroffen. In Deutschland sind doppelt so viele Jungen wie Mädchen in einer psychosomatischen oder psychiatrischen Behandlung“.

Ein gigantisches Geschäft

Computerspiele haben sich weltweit zu einem gigantischen Geschäft entwickelt. Von den Spielen der „Call of Duty“-Serie (zu deutsch: „Ruf der Pflicht“) sind bis Ende 2009 über 55 Millionen Stück verkauft worden, der „Ego-Shooter“ erbrachte damit über drei Millionen Dollar Umsatz. Das Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ (deutsch: Welt der Kriegskunst) zählt weltweit mehr als 12 Millionen Abonnenten. Es gilt mit mehr als einer Milliarde Dollar Umsatz jährlich als eines der lukrativsten Unterhaltungsmedien.

15-jährige Jugendliche in Deutschland, die „World of Warcraft“ nutzen, spielen laut einem Forschungsbericht des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen KFN im Schnitt 3,9 Stunden am Tag. Der Anteil der Jugendlichen, die dabei ein suchtartiges Verhalten mit Kontrollverlust und Entzugserscheinungen aufweisen, liegt bei 8,5 Prozent.

Aus der repräsentativen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts geht hervor, dass unter allen deutschen Schülern der neunten Klasse bereits über 14.000 Jugendliche computersüchtig und weitere 23.000 Jugendliche gefährdet sind.

Die Stiftung Kindergesundheit erläutert das Suchtrisiko so: Onlinespiele wie „World of Warcraft“ haben ein hohes Suchtpotential, weil sie unterschiedliche Ebenen haben, die mit jeder erfolgreich gelösten Aufgabe schwieriger werden. Um die Aufgaben zu lösen, müssen die Spieler ständig präsent sein. Sie glauben, dass sie etwas versäumen, wenn sie nicht im Netz sind. Deshalb steigen sie immer wieder zu allen Tages- und auch Nachtzeiten ins Spielgeschehen ein. Zudem werden ständig Neuerungen und Erweiterungen eingeführt, wodurch das Verlangen der Spieler geschürt und die Gefahr der Abhängigkeit zusätzlich gesteigert wird.

Wichtige Regeln für TV , PC und Konsole

Um die schädlichen Folgen der „Medienrevolution“ möglichst einzugrenzen, sollten Eltern folgende Empfehlungen der Stiftung Kindergesundheit beherzigen:

Vereinbaren Sie feste Regeln zur Nutzung von Medien, z.B. erst Hausaufgaben, dann Pause, dann spielen oder surfen.

Setzen Sie zeitliche Grenzen und erlauben Sie nur bestimmte Inhalte. Kinder unter zwei Jahren sollten überhaupt nicht fernsehen, Vorschulkinder höchstens 30 Minuten am Tag.

Benutzen Sie Computerspiele nie als „elektronische Babysitter“.

Überwachen Sie konsequent auch die Einhaltung der Regeln, auch wenn es deshalb Auseinandersetzungen gibt. Loben Sie Ihr Kind, wenn es den Zeitplan einhält.

Bildschirmmedien haben im Kinderzimmer nichts zu suchen! Fernsehgerät, Spielkonsole und Computer sollten in Gemeinschaftsräumen stehen.

Achten Sie darauf, dass die Zeiten fürs Lernen und für die Hausaufgaben nicht durch die Mediennutzung verkürzt (und schon gar nicht komplett ersetzt) werden.
 
Informieren Sie sich, was Ihr Kind schaut und spielt. Versuchen Sie, unkontrollierten Medienkonsum zu verhindern. Kein Fernsehen oder Gameboy morgens vor Kindergarten, Schule oder Frühstück!

Überprüfen Sie kritisch Ihr eigenes Fernsehverhalten. Das Fernsehgerät sollte nicht Mittelpunkt der Wohnung sein.

Lenken Sie das Interesse auf alternative Freizeitbeschäftigungen wie Sport oder Vereinsleben.

Bevorzugen Sie gemeinsame Freizeitaktivitäten ohne Medien.

Beaufsichtigen Sie die Internetaktivitäten Ihres Kindes. Eine kostenlose Software, die nur zugelassene Seiten für bestimmte Altersgruppen erlaubt, kann unter http://jugendschutzprogramm.de herunter geladen werden.

Besonders wichtig: Gemeinsame Mahlzeiten pflegen und am Tisch miteinander reden. Kein Fernsehen beim Essen! Kein Essen beim Fernsehen!

Professor Berthold Koletzko: „Wir Kinder- und Jugendärzte haben die Gefahr erkannt, die vom grenzenlosen Medienkonsum für unsere Kinder ausgeht. So hat unser Berufsverband BVKJ seinen diesjährigen Kongress für Jugendmedizin (11. bis 13. März in Weimar) unter das Thema ‚Jugend und Medien’ gestellt. Wir wissen aber auch: Medien gehören nun einmal zu Alltag unserer Kinder und man kann sie nicht verbieten. Wir alle, Eltern, Ärzte, Gesellschaft und Politik, müssen unserer Verantwortung gewissenhaft nachkommen und den Medienkonsum unserer Kinder kontrollieren, möglichst reduzieren und in vernünftige Bahnen lenken“.

Mehr Infos im Internet:
www.fv-medienabhaengigkeit.de
www.onlinesucht.de
www.bzga.de
www.spieleratgeber-nrw.de
www.internet-abc.de
www.klicksafe.de
www.schau-hin.info
www.bmfsfj.de
www.spielbar.de

Stiftung Kindergesundheit
www.kindergesundheit.de